Journaling ist eine Praxis, die oft mit der Idee verbunden wird, dass man seine Gedanken und Erlebnisse in einem Tagebuch festhält. Für viele Menschen ist es eine Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen, Emotionen zu verarbeiten und Klarheit über die eigenen Gedanken zu gewinnen. Doch was, wenn das Schreiben selbst zur Hürde wird? Genau das war mein Problem, als ich begann, mich mit dem Thema Journaling auseinanderzusetzen.
Als Legastheniker fällt mir das Schreiben schon seit jeher schwer. Die Worte fließen nicht so leicht aus meiner Feder, wie sie es bei anderen vielleicht tun. Am Computer geht es einigermaßen, weil ich auf Rechtschreibprogramme zurückgreifen kann, die meine Fehler ausgleichen. Doch sobald ich zu Papier und Stift greife, wird es kompliziert. Meine Hand verkrampft sich nach wenigen Sätzen, und ich werde ungeduldig. Es ist frustrierend, wenn man seine Gedanken festhalten möchte, aber das Werkzeug – in diesem Fall die eigene Hand – einfach nicht mitspielen will. Diese Erfahrung führte dazu, dass ich das Führen eines Tagebuchs immer wieder aufschob und mich fragte, ob es überhaupt einen Weg für mich gab, Journaling in meinen Alltag zu integrieren.
Dabei fand ich die Idee, meine Gedanken zu sortieren und regelmäßig über das nachzudenken, was mich beschäftigt, unglaublich wertvoll. Ich las von den vielen positiven Auswirkungen, die das regelmäßige Schreiben haben kann. Journaling hilft, Klarheit über die eigenen Gedanken und Gefühle zu gewinnen, es kann Stress abbauen, Selbstreflexion fördern und ein tiefes Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche schaffen. All diese Vorteile klangen für mich sehr verlockend, doch wie sollte ich das anstellen, wenn mir das Schreiben selbst so schwerfiel?
Meine ersten Versuche, ein Tagebuch am Computer zu führen, fühlten sich nicht richtig an. Es war, als würde die digitale Distanz zwischen mir und meinen Gedanken stehen. Die Wörter auf dem Bildschirm wirkten kühl und unnahbar, und es fiel mir schwer, wirklich in einen Fluss zu kommen. Der physische Akt des Schreibens fehlte, das Geräusch des Stiftes auf dem Papier, die Möglichkeit, die Gedanken wortwörtlich zu spüren. Es war, als würden meine Gedanken durch die Tastatur an Tiefe verlieren. Trotzdem wollte ich nicht aufgeben. Die positiven Berichte über das Journaling motivierten mich weiterzumachen und eine Lösung zu finden, die für mich funktionierte.
Schließlich stieß ich auf Journale mit vorgedruckten Seiten und Reflektionsfragen. Diese halfen mir, die Barriere des leeren Blattes zu überwinden. Statt jedes Mal vor einem leeren Tagebuch zu sitzen und nicht zu wissen, wo ich anfangen sollte, konnte ich mich an den vorgegebenen Fragen entlanghangeln. Es war, als würde mir jemand die Hand reichen und mir zeigen, wo es langgeht. Die Anleitungen und Fragen boten mir einen roten Faden, an dem ich mich orientieren konnte, und plötzlich wurde das Schreiben weniger zur Qual und mehr zu einer bereichernden Erfahrung. Ich setzte mir das Ziel, täglich ein bis zwei Seiten auszufüllen, und war überrascht, wie gut es mir gelang. Zwar war meine Handschrift immer noch schwer lesbar, doch das spielte keine Rolle. Wichtig war, dass ich es tat, dass ich den Versuch unternahm, meine Gedanken und Gefühle zu Papier zu bringen.
Seitdem ich diese Methode für mich entdeckt habe, ist Journaling zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Es ist nicht immer einfach, und es gibt Tage, an denen ich mich zwingen muss, den Stift in die Hand zu nehmen. Doch die positiven Effekte sind es wert. Jeden Abend lasse ich den Tag Revue passieren, denke darüber nach, was gut gelaufen ist, und was ich vielleicht anders machen könnte. Es ist eine Zeit der Reflexion und des Innehaltens, die mir hilft, zur Ruhe zu kommen und den Tag mit einem Gefühl der Zufriedenheit abzuschließen. Besonders wertvoll sind die kleinen Momente, die ich im Alltag oft übersehen würde: ein unerwartetes Lächeln, ein schöner Sonnenuntergang oder ein Gespräch, das mich inspiriert hat. Diese kleinen Highlights des Tages zu sammeln, hat meinen Blickwinkel verändert. Ich nehme die positiven Ereignisse viel bewusster wahr und erkenne sie schneller.
Regelmäßiges Journaling hat mir gezeigt, dass es nicht darum geht, literarische Meisterwerke zu verfassen oder perfekt formulierte Sätze zu schreiben. Es geht darum, authentisch zu sein und den eigenen Gedanken Raum zu geben. Das Tagebuch ist ein Ort, an dem alles seinen Platz findet: die Zweifel, die Hoffnungen, die kleinen Freuden und die großen Ängste. Es ist ein Spiegel der eigenen Seele, der uns hilft, uns selbst besser zu verstehen und uns so anzunehmen, wie wir sind.
Das Schreiben kann – auch wenn es bei mir manchmal weniger der Fall ist – eine beruhigende Wirkung haben. Es ist eine Möglichkeit, belastende Gedanken loszulassen, sie auf dem Papier festzuhalten und so aus dem eigenen Kopf zu verbannen. Manchmal sind es die sich ständig wiederholenden Gedanken, die uns belasten, die Sorgen und Ängste, die uns umtreiben. Wenn wir sie niederschreiben, geben wir ihnen einen Ort, an dem sie sein dürfen, ohne dass sie uns ständig begleiten. Diese Erfahrung habe ich oft gemacht. Nach einem anstrengenden Tag, an dem mir vieles durch den Kopf gegangen ist, setze ich mich hin und schreibe alles auf, was mich beschäftigt. Danach fühle ich mich leichter, als hätte ich einen Teil der Last abgegeben.
Durch das regelmäßige Schreiben habe ich auch begonnen, persönliche Muster zu erkennen. Immer wiederkehrende Themen, die mich beschäftigen, Verhaltensweisen, die mich frustrieren, aber auch Fortschritte, die ich gemacht habe. Das Tagebuch wird so zu einer Dokumentation meines persönlichen Weges. Es zeigt mir, wo ich herkomme, was ich gelernt habe und wo ich noch hinmöchte. Diese Reflexion hilft mir, mich selbst besser zu verstehen und an den Themen zu arbeiten, die mir wichtig sind.
Ein weiterer Aspekt, den ich durch das Journaling schätzen gelernt habe, ist die Dankbarkeit. Die täglichen Notizen über die Dinge, für die ich dankbar bin, haben mir geholfen, den Fokus auf das Positive zu richten. Es ist leicht, sich in den Herausforderungen des Alltags zu verlieren und den Blick für die schönen Dinge zu verlieren. Doch das Tagebuch erinnert mich immer wieder daran, dass es viele kleine Momente gibt, die mein Leben bereichern. Diese Momente festzuhalten und zu würdigen, hat meinen Blick auf die Welt verändert. Ich bin aufmerksamer geworden, nehme die kleinen Freuden des Alltags bewusster wahr und freue mich mehr über die scheinbar unscheinbaren Dinge.
Obwohl das Schreiben anfangs eine Herausforderung war, hat es sich für mich zu einem wertvollen Werkzeug entwickelt. Es hilft mir, Klarheit zu gewinnen, meine Gedanken zu ordnen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Besonders hilfreich sind dabei die vorgefertigten Fragen und Anleitungen, die mir Struktur geben und den Einstieg erleichtern. Sie sind wie eine kleine Stütze, die mich auf meinem Weg begleitet und mir zeigt, dass es nicht darauf ankommt, perfekt zu sein, sondern den Mut zu haben, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Ich habe gelernt, dass es keine richtige oder falsche Art gibt, ein Tagebuch zu führen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, der zu ihm passt. Für den einen mag das freie Schreiben die beste Methode sein, für den anderen sind es vorgefertigte Fragen oder thematische Journale. Wichtig ist, dass man einen Weg findet, der einem gut tut und der einem hilft, sich selbst besser zu verstehen. Es geht nicht darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern darum, sich auf den Prozess einzulassen und sich die Zeit zu nehmen, die man braucht.
Das Journaling hat mir auch gezeigt, wie wichtig es ist, geduldig mit sich selbst zu sein. Es gibt Tage, an denen das Schreiben schwerfällt, an denen die Worte nicht fließen wollen und die Gedanken wirr und ungeordnet sind. Doch das ist in Ordnung. Es geht nicht darum, jeden Tag perfekte Einträge zu verfassen, sondern darum, sich selbst den Raum zu geben, den man braucht. Manche Tage sind leichter, andere schwerer, und das ist okay. Wichtig ist, dass man dabei bleibt und sich selbst die Erlaubnis gibt, unvollkommen zu sein.
Wenn ich heute auf mein Tagebuch zurückblicke, sehe ich nicht nur die Worte, die ich geschrieben habe, sondern auch die Entwicklung, die ich durchgemacht habe. Es ist eine Reise, die mich durch Höhen und Tiefen geführt hat, durch Zweifel und Freude, durch Wachstum und Stillstand. Das Tagebuch ist ein Zeugnis dieser Reise, ein stiller Begleiter, der mich durch alle Phasen meines Lebens begleitet hat. Es zeigt mir, wie weit ich gekommen bin, aber auch, dass es noch viel zu entdecken und zu lernen gibt.
Für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, ein Tagebuch zu führen, kann ich nur sagen: Probiert es aus. Findet einen Weg, der für euch funktioniert, und gebt euch die Zeit, die ihr braucht. Journaling ist eine wunderbare Möglichkeit, sich selbst besser kennenzulernen, Klarheit zu gewinnen und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Es ist ein Geschenk, das man sich selbst machen kann, und es lohnt sich, diesen Weg zu gehen. Egal, ob man viel schreibt oder wenig, ob man es täglich tut oder nur ab und zu – wichtig ist, dass man es tut. Denn jeder Gedanke, der zu Papier gebracht wird, ist ein Schritt zu sich selbst.
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