Die Frage, warum Entscheidungen so schwerfallen, lässt sich nicht allein auf die Vielzahl der täglichen Wahlmöglichkeiten zurückführen. Die Erkenntnis, dass jede Entscheidung auch ein Verzicht ist, trifft uns oft dann am härtesten, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Hier, wo das Herz die Richtung weist und der Verstand dennoch bedenken will, welche Wege sich kreuzen und welche sich trennen, wird uns die Tragweite unserer Entscheidungen oft erst später bewusst. Wir entscheiden uns, mit jemandem zusammen zu sein oder von jemandem Abschied zu nehmen, und vergessen dabei, dass das „Ja“ zu einer Person oft das „Nein“ zu einer anderen ist. Diese Dynamik, die wir alle kennen, wird selten so deutlich ausgesprochen. Doch sie prägt unsere Beziehungen auf subtile, aber kraftvolle Weise.
Jeden Tag stehen wir vor Entscheidungen, die wir in Windeseile treffen, ohne auch nur darüber nachzudenken. Das Aufstehen am Morgen, die Frage, was wir zum Frühstück essen oder welche Schuhe wir anziehen – all das passiert automatisch. Aber dann gibt es die Entscheidungen, die uns innehalten lassen. Die Frage, ob wir bei einem Freund vorbeischauen, der schon länger auf ein Treffen hofft, oder ob wir den Abend alleine verbringen, weil wir Ruhe brauchen. Der Anruf bei einem Familienmitglied, der längst überfällig ist, oder das Schweigen, das wir wählen, weil die Worte einfach nicht kommen wollen. Diese Momente sind es, die uns innehalten lassen. Sie sind wie Kreuzungen auf unserem Lebensweg, an denen wir spüren, dass die Richtung, die wir wählen, Bedeutung hat.
Im Coaching frage ich oft nach der Perspektive, aus der Entscheidungen betrachtet werden. Wenn wir die Dinge nur aus unserer eigenen Sicht betrachten, übersehen wir möglicherweise die andere Seite – das, was für uns im Schatten liegt. Mein Logo, der Würfel mit Sonne, Regenwolken und Regenbogen, symbolisiert genau das: Die Dinge, die wir nicht sehen können, weil unser Blickwinkel beschränkt ist. Ein Regenbogen entsteht nur, wenn wir uns so positionieren, dass die Sonne hinter uns liegt und das Licht durch den Regen bricht. Er ist ein Symbol für das, was sichtbar wird, wenn Licht und Schatten aufeinandertreffen. Doch was bedeutet das für unsere Entscheidungen? Es zeigt uns, dass wir oft nur eine Seite sehen können, während die andere verborgen bleibt. Diese Einsicht ist nicht immer leicht zu akzeptieren, denn sie bedeutet, dass wir oft nur unvollständige Informationen haben und dennoch entscheiden müssen.

Vielleicht ist das der Grund, warum Entscheidungen uns oft so schwerfallen: Wir wissen, dass wir nicht alles haben können. Der Theaterabend oder der Kinofilm – wir können uns nur für eines entscheiden, und das andere bleibt ungelebt, ungefühlt, unerlebt. Es ist, als ob wir immer nur eine halbe Geschichte erzählen könnten, weil die andere Hälfte im Dunkeln bleibt. In der heutigen Zeit, in der wir unzählige Möglichkeiten haben, wird dieser Verlust, dieser Verzicht, oft schmerzhaft spürbar. Wir leben in einer Welt, die uns suggeriert, dass wir alles haben können, wenn wir uns nur genug anstrengen, genug planen, genug optimieren. Doch das ist eine Illusion, eine Täuschung, die uns mehr stresst, als dass sie uns befreit.
In den Gesprächen mit meinen Coachees kommt oft der Moment, in dem klar wird, dass der Druck, alles richtig machen zu müssen, uns lähmt. Die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, lässt uns zögern. Und je länger wir zögern, desto größer wird der Druck. Es ist, als ob wir auf einer Weggabelung stehen und versuchen, beide Wege gleichzeitig zu gehen. Doch das ist unmöglich. Früher oder später müssen wir eine Richtung wählen. Der Moment der Entscheidung erfordert Mut. Es ist der Mut, sich auf das Unbekannte einzulassen, den Schritt ins Dunkle zu wagen, ohne zu wissen, ob wir den Regenbogen sehen werden oder ob die Wolken bleiben.
Entscheidungen sind immer auch ein Ausdruck unserer Werte. Wenn wir uns für etwas entscheiden, zeigen wir, was uns wichtig ist. Ein Ja zu einem Treffen mit einem Freund bedeutet, dass uns die Beziehung wichtig ist, vielleicht sogar wichtiger als die Ruhe, die wir für uns selbst brauchen. Doch dieses Ja ist nicht immer leicht. Denn manchmal bedeutet es auch, dass wir auf etwas verzichten müssen, das uns ebenso wichtig ist. Es ist diese Spannung, dieser Konflikt, der uns innehalten lässt. Wir spüren, dass wir etwas zurücklassen, dass wir etwas verlieren, auch wenn wir etwas gewinnen.
Der Preis der Entscheidung ist oft unsichtbar. Wir sehen nur das, was wir gewählt haben, nicht das, was wir aufgegeben haben. In der Rückschau jedoch, wenn wir auf unser Leben blicken, werden die verpassten Möglichkeiten oft schmerzlich bewusst. Der Freund, den wir nicht angerufen haben, das Treffen, das wir abgesagt haben, die Worte, die wir nicht gesagt haben – sie hinterlassen eine Leere, die uns manchmal erst viel später bewusst wird. Doch diese Leere ist auch ein Raum für Reflexion, für das Bewusstsein, dass wir es in der Hand haben, wie wir unser Leben gestalten.
Vielleicht ist das die wichtigste Lektion, die uns Entscheidungen lehren können: Dass wir es sind, die die Richtung bestimmen. Wir sind nicht Opfer der Umstände, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Wir haben immer die Wahl, und diese Wahl gibt uns Macht, aber auch Verantwortung. Es liegt an uns, ob wir den Regen sehen oder den Regenbogen. Es liegt an uns, ob wir uns auf das Licht konzentrieren oder auf die Schatten. Und es liegt an uns, ob wir den Mut haben, uns auf eine Seite festzulegen, auch wenn wir wissen, dass wir die andere verlieren werden.
In einer Welt, die uns unzählige Möglichkeiten bietet, scheint es paradox, dass gerade diese Vielfalt uns oft überfordert. Wir wollen alles und am liebsten gleichzeitig, doch genau das ist unmöglich. Wir können nicht im Theater sitzen und gleichzeitig den Film im Kino genießen. Wir können nicht in einer Stadt leben und gleichzeitig die Freiheit der Natur spüren. Wir können nicht in einer Beziehung sein und gleichzeitig die Unabhängigkeit des Alleinseins genießen. Jede Entscheidung fordert einen Preis, und dieser Preis ist oft das, was uns lieb und teuer geworden ist. Doch genau hier liegt auch die Chance: Im Loslassen dessen, was wir nicht gewählt haben, können wir den Moment voll und ganz erleben.
Der Regenbogen, der nur sichtbar wird, wenn die Sonne hinter uns liegt, ist ein Symbol für diese Haltung. Er erinnert uns daran, dass wir nicht immer alles sehen können, dass wir manchmal einen Schritt zurücktreten müssen, um das Ganze zu erkennen. Er zeigt uns, dass Schönheit oft im Unvollständigen liegt, in dem, was nur für einen Augenblick sichtbar wird und dann wieder verschwindet. Entscheidungen sind wie dieser Regenbogen: flüchtig, kostbar, und oft erst im Rückblick erkennbar in ihrer ganzen Farbenpracht.
Es ist leicht, sich in der Vorstellung zu verlieren, dass wir immer die richtige Entscheidung treffen müssen. Doch was wäre, wenn es gar nicht darum geht, richtig oder falsch zu wählen? Was wäre, wenn jede Entscheidung, die wir treffen, uns genau dorthin führt, wo wir hin müssen? Was wäre, wenn wir den Mut hätten, uns selbst zu vertrauen und darauf zu vertrauen, dass wir das Beste aus der Wahl machen, die wir getroffen haben?
In meinen Coachings ermutige ich Menschen dazu, ihre Entscheidungen anzunehmen, mit all den Konsequenzen, die sie mit sich bringen. Es geht nicht darum, perfekt zu sein oder alles richtig zu machen. Es geht darum, authentisch zu sein und zu den eigenen Werten zu stehen. Es geht darum, den eigenen Weg zu gehen, auch wenn dieser manchmal steinig ist. Es geht darum, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und die Schönheit darin zu erkennen, dass wir es in der Hand haben, wie wir diesen Weg gestalten.
Vielleicht ist es genau das, was uns der Regenbogen lehren kann: dass es nicht darum geht, alles zu sehen, sondern das zu schätzen, was wir sehen können. Dass es nicht darum geht, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, sondern die zu wählen, die uns am meisten bedeuten. Und dass es nicht darum geht, nie einen Fehler zu machen, sondern die Entscheidungen, die wir getroffen haben, mit offenen Armen zu umarmen – mit all ihren Farben, Licht und Schatten.
Jede Wahl hat ihren Preis, und dieser Preis ist oft das, was wir zurücklassen müssen. Doch dieser Preis ist auch das, was uns wachsen lässt, was uns lehrt, was wirklich wichtig ist. Entscheidungen sind keine Last, sie sind ein Geschenk. Sie geben uns die Möglichkeit, uns auszudrücken, zu zeigen, wer wir sind, und unseren eigenen Weg zu finden. Sie sind die Momente, in denen wir das Leben in die Hand nehmen und sagen: Das ist mein Weg, das ist meine Wahl, und ich stehe dazu – mit allem, was dazugehört.