Seit einiger Zeit habe ich das Glück, an der Hochschule Worms Change Management und Transformation unterrichten zu dürfen – eine Tätigkeit, die mir besonders am Herzen liegt. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir dringend in die kommende Generation investieren müssen. Diese Aufgabe ist für mich nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Berufung, da ich die Chance habe, die nächste Generation von Fachkräften zu fördern und ihnen dabei zu helfen, sich auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt vorzubereiten.

In meinen Vorlesungen kommen wir natürlich auch am Agilen Manifest vorbei. Die Werte und Prinzipien des Manifests sind eine Grundlage für das Verständnis moderner Zusammenarbeit und Digitalisierung. Das Agile Manifest selbst ist ein zentrales Dokument in der agilen Welt und hilft dabei, die Haltung und den Ansatz für eine flexible und kundenorientierte Zusammenarbeit zu verstehen. Diese Prinzipien und Werte bilden den Rahmen, innerhalb dessen moderne Unternehmen ihre Prozesse gestalten, und sind daher ein essenzieller Bestandteil meiner Vorlesungen.

Die agilen Werte, insbesondere die vier Wertepaare, funktionieren in der Lehre meist ganz gut. Sie sind klar formuliert und die Studierenden können mit ihnen nach einer kurzen Diskussion recht schnell etwas anfangen. Diese vier Wertepaare stehen für die Essenz der agilen Denkweise und bieten eine gute Grundlage, um eine Diskussion darüber zu beginnen, wie Arbeit in Teams organisiert und welche Haltung gegenüber Veränderungen eingenommen werden sollte. In der Regel merke ich, dass die Studierenden diese Konzepte schnell verstehen und bereits bestehende Beispiele aus ihrem eigenen Leben oder Praktika dazu beitragen können, die Inhalte lebendig werden zu lassen.

Anders sieht es jedoch bei den 12 Prinzipien aus. Diese wirken in ihrer Sprache oft etwas altbacken – eben Kinder ihrer Zeit, von den Menschen formuliert, die damals das Agile Manifest geschrieben haben. Die Sprache dockt nicht mehr so recht an das Denken der jungen Generation an, auch wenn die Inhalte weiterhin relevant sind. Diese Prinzipien sind oft komplex formuliert und erfordern ein gewisses Maß an Kontextwissen, um sie wirklich zu verstehen. Daher habe ich mir für meine Studierenden eine besondere Übung ausgedacht: Ich habe sie gebeten, die Prinzipien des Agilen Manifests zu modernisieren und sie in ihre eigene Sprache zu übersetzen.

Die Idee hinter dieser Übung war, den Studierenden nicht nur die Inhalte näherzubringen, sondern ihnen auch die Möglichkeit zu geben, sich intensiv mit den Prinzipien auseinanderzusetzen. Ich wollte, dass sie die Prinzipien nicht nur nacherzählen können, sondern auch wirklich verstehen und verinnerlichen, was sie bedeuten und wie sie sich in der Praxis anwenden lassen. Indem sie die Prinzipien in ihre eigene Sprache übersetzen mussten, konnten sie sich wirklich tief mit den Inhalten beschäftigen und die Essenz dessen erfassen, was die Prinzipien ausmacht.

Ich war sehr gespannt, was dabei herauskommen würde, und die Ergebnisse haben mich mehr als positiv überrascht. Die Studierenden haben die Prinzipien nicht einfach nur umformuliert, sie haben den Kern der Aussagen erfasst und versucht, ihn in die heutige Zeit zu bringen – aufs Wesentliche reduziert. Diese Reduktion auf das Wesentliche hat ihnen geholfen, die Prinzipien auf eine Art und Weise zu verstehen, die für sie persönlich relevant und nachvollziehbar ist. Außerdem haben sie damit eine Brücke geschlagen zwischen der Theorie und der Praxis, indem sie die Prinzipien so formulierten, dass sie in ihrem eigenen Umfeld anwendbar sind.

Um diese Prinzipien noch anschaulicher zu machen, haben sie Beispiele aus dem aktuellen Wirtschaftsleben hinzugefügt. So wurde etwa der Smartphone-Hersteller Blackberry als Beispiel dafür genannt, wie wichtig es ist, Anforderungsänderungen willkommen zu heißen. Denn Blackberry hat genau das verpasst und sich nicht an die sich wandelnden Bedürfnisse angepasst, was zu ihrem Rückgang geführt hat. Die Geschichte von Blackberry verdeutlicht sehr gut, wie wichtig Flexibilität und Anpassungsfähigkeit im heutigen Markt sind. Ein weiteres Beispiel war die kontinuierliche Auslieferung bei Spotify, die als Sinnbild für das Prinzip der frühen und kontinuierlichen Auslieferung wertvoller Ergebnisse diente. Hier wurde klar gezeigt, wie der Ansatz der kontinuierlichen Lieferung dazu beitragen kann, Kunden zufriedenzustellen und schnelle Anpassungen vorzunehmen.

Eine andere Gruppe wählte das Bild eines Baums, um die Prinzipien zu visualisieren. Jeder Ast stand für ein Prinzip, und die Gabelungen verdeutlichten die jeweiligen Vor- und Nachteile. Diese kreative Herangehensweise hat gezeigt, dass sie nicht nur die Inhalte verstanden haben, sondern sich auch damit beschäftigt haben, wie man sie anschaulich und nachhaltig vermittelt. Der Baum als Symbol ist dabei besonders passend, weil er das Wachstum und die Vernetzung der Prinzipien untereinander symbolisiert. Die verschiedenen Äste des Baumes standen nicht nur für einzelne Prinzipien, sondern verdeutlichten auch, wie diese miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Diese Visualisierung hat den Studierenden geholfen, die Komplexität der Prinzipien auf eine ganzheitliche Weise zu erfassen und besser zu verstehen.

Ein weiterer interessanter Aspekt war, dass die Studierenden auch auf die Vor- und Nachteile der Prinzipien eingegangen sind. Dies ermöglichte eine kritische Auseinandersetzung mit den Prinzipien, die über das reine Verständnis hinausging. Sie konnten dadurch reflektieren, wie die Prinzipien in der Praxis funktionieren und welche Herausforderungen bei der Umsetzung auftreten können. Das hat dazu geführt, dass sie sich intensiv mit den praktischen Aspekten der agilen Arbeitsweise auseinandergesetzt haben und ein tieferes Verständnis dafür entwickelt haben, wie man agile Methoden in der realen Welt anwendet.

Für mich war dieses Experiment ein voller Erfolg. Ich bin mir sicher, dass das Agile Manifest diesen Studierenden lange in Erinnerung bleiben wird – vielleicht nicht wortwörtlich, aber das ist auch nicht das Ziel. Wichtig ist, dass sie den Kern und die Idee hinter den Prinzipien verinnerlichen. Am Ende geht es ja nicht um das korrekte Rezitieren, sondern darum, das Verständnis in der Praxis anzuwenden, oder? Wenn sie die Prinzipien verstanden haben und in ihren zukünftigen Projekten anwenden können, dann habe ich mein Ziel erreicht. Die Rückmeldungen der Studierenden waren auch sehr positiv, und viele von ihnen haben mir gesagt, dass sie durch diese Übung ein viel besseres Verständnis für die agilen Prinzipien bekommen haben.

Ich bin überzeugt, dass wir durch solche kreativen Ansätze in der Lehre eine nachhaltige Lernerfahrung schaffen können. Lernen bedeutet nicht nur, Wissen aufzunehmen, sondern auch, es zu verarbeiten und anzuwenden. Genau das konnten die Studierenden in dieser Übung tun, und ich denke, dass dies eine der wertvollsten Erfahrungen für sie war. Das Agile Manifest mag zwar schon einige Jahre alt sein, aber die Prinzipien dahinter sind zeitlos – es kommt nur darauf an, wie wir sie vermitteln und zum Leben erwecken.