… ja was ist geteilte Verantwortung eigentlich? Doppelte? Halbe? Ich denke, an der Verantwortung ändert sich gar nichts bzw. ich glaube nicht, dass ich Verantwortung abgeben kann. Aber ich kann sie zusammen erfüllen und dann ist es tatsächlich halbe Last für die Beteiligten. Diese Erkenntnis war für mich ein echter Wendepunkt und hat mich nachhaltig geprägt.
Gelernt habe ich das in einer Zeit, in der ich eine dieser Entscheidungen, die mich tagelang begleitet haben, endlich treffen musste. Kein Projekt, das irgendwann abgeschlossen sein würde, sondern eine strategische Weichenstellung, die Auswirkungen auf die gesamte Zukunft unseres Bereichs haben würde. Wir standen vor der Frage, wie wir mit unseren Fitnesse-Tests (das sind automatisierte, tabellenbasierte Akzeptanztests, die in einem Wiki geschrieben und direkt gegen den Code ausgeführt werden, um das erwartete Verhalten einer Software aus fachlicher Sicht zu überprüfen) umgehen wollten – einem Thema, das nicht nur die technische Qualität, sondern auch die langfristige Stabilität und Ausrichtung unseres Teams betraf. Und obwohl ich von Anfang an wusste, dass ich diese Entscheidung nicht allein treffen sollte, fühlte ich mich wie gelähmt.
Das Problem war nicht die Komplexität der Frage, sondern der Anspruch, die Verantwortung dafür tragen zu müssen. Es ging um grundlegende Themen – die Optionen waren zahlreich und die Risiken hoch. Wer bezahlt das Ganze? Habe ich die richtigen Leute? Gehen die Menschen überhaupt die Entscheidung mit? Habe ich das notwendige Know-how im Team? Was, wenn wir uns verrennen und aufs falsche Pferd setzen?
Und jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, spürte ich, wie der Druck wuchs und wuchs und wuchs… Ich konnte kaum noch klar denken und ertappte mich dabei, wie ich versuchte, die Entscheidung hinauszuzögern, in der Hoffnung, dass sich vielleicht eine andere, offensichtlichere Lösung ergeben würde.
Irgendwann saß ich in einem Meeting mit meinem Team und begann einfach offen und frei darüber zu sprechen, was mich schon seit Tagen plagte. Das Management erwartete grundlegende Änderungen und ich hatte keine Idee mehr, wie wir das erreichen sollten.
Das war ein entscheidender Moment. Ich merkte, dass meine Unsicherheit nicht als Schwäche wahrgenommen wurde, sondern als Einladung, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Plötzlich fühlten sich alle einbezogen. Meine Kollegen begannen, eigene Erfahrungen und Sichtweisen zu teilen. Wir sprachen über vergangene Herausforderungen, darüber, welche Entscheidungen wir in der Vergangenheit getroffen hatten und welche Lehren wir daraus ziehen konnten.
Wir beschlossen, einen Workshop zu machen, um die strategische Richtung zu definieren. Mein Team brachte Ideen ein, die ich nie allein entwickelt hätte. Sie sahen Dinge, die ich übersehen hatte, und stellten Fragen, an die ich nie gedacht hätte. Es wurde eine lebhafte Diskussion, in der wir verschiedene Szenarien skizzierten, Risiken bewerteten und mögliche Konsequenzen durchspielten.
Was zunächst wie ein unüberwindbares Problem wirkte, nahm plötzlich Gestalt an. Wir fanden realistische Lösungen, entwickelten einen gemeinsamen Plan und setzten konkrete Schritte fest. Und das Wichtigste: Es war nicht länger meine Last, sondern unser gemeinsames Vorhaben.
Delegieren und Aufgaben abgeben bedeutet nicht nur, Operatives abzugeben. Es bedeutet, Raum zu schaffen für die Perspektiven anderer – besonders bei strategischen Themen. Heute blicke ich auf diese Phase zurück und weiß, dass diese Entscheidung nicht nur unser Testing verändert hat, sondern auch unsere Art, zusammenzuarbeiten. Ich habe gelernt, dass geteilte Verantwortung nicht bedeutet, dass ich weniger Verantwortung trage, sondern dass ich mich in ein Netz aus gegenseitigem Vertrauen und Zusammenarbeit begebe.
Es ist eine der wichtigsten Lektionen in der Führung: Die Menschen um dich herum können dich nicht unterstützen, wenn du deine Last nicht mit ihnen teilst. Sich verletzlich zu zeigen, kann der erste Schritt sein, um eine Kultur der Zusammenarbeit und geteilten Verantwortung zu etablieren.
Führung beginnt bei dir!
Grüße Michaelus
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